10.05.2022
Was soll ich heute unterrichten?
Wir befinden uns in einem Übergang. Das ökonomische System, das einen Großteil des Grafikdesigns benötigt, ist untragbar und alle wissen es. Die Klassenverhältnisse haben sich in Europa seit dem Aufkommen des industriellen Kapitalismus nicht grundlegend geändert und alle wissen es. Die ökologische und klimatische Katastrophe findet nicht irgendwann in der Zukunft statt. Wir sind schon lange mitten drin. Alle wissen das. Dass es alle wissen bewirkt aber keinesfalls, dass es abrupt aufhört oder nur langsamer wird. Allseits erleben wir rasende Monopolisierung, Privatisierung, Totalvernetzung und autoritäres Kräftebündeln. Gleichzeitig wachsen allseits Unbehagen, Widerstand und Anrufungen von Alternativen. Ein wenig fühlt sich die Gegenwart an wie Plattentektonik im Zeitraffer.
Ich unterrichte Grafikdesign an einer kleinen Berufsfachschule für Gestaltung. Fast jedes Semester einen Kurs, seit 2014. Aus getrübter Freude eher, als aus üppigen Verdienstmöglichkeiten.
Grafikdesign zu unterrichten fühlt sich oft völlig absurd an. Ich bilde junge Menschen für einen Beruf aus, der die symbolische Ordnung der kapitalistischen Welt entscheidend prägt. Ich versuche ihnen Fähigkeiten zu vermitteln, die sicher mißbraucht werden. Jede Produktwerbung erscheint mir wie das Ergebnis einer Wahnvorstellung. Corporate Communication ist eine gefällige, elegante und zerstörerische Waffe, deren Mitverdienst es ist, dass Menschen sich primär als Konsument:innen verstehen und nicht als soziale, politische Subjekte. In dieser geschlossenen Denkweise kann man Probleme, die durch Überproduktion oder Überkonsumtion entstanden sind, nur mit weiterer Produktion oder Konsumtion lösen. Das ist auch schon alles, was unter dem Begriff der »Innovation« passiert. Die Maschine muss halt laufen und mit neuem, frischem Material gefüttert werden.
Auch im Grafikdesign dauert es nur ein paar Jahre, bis die kryptische, sich dem schnellen Zugriff verweigernde, vielleicht sogar politisch aufgeladene Avant-Garde zum bloßen Branding wird. Der Kapitalismus integriert reibungslos alle und alles in die Verwertung. Wie kommen »kritische« Designer:innen dann immer wieder auf die Scheinlösung, eine neue Ästhetik vorzuschlagen? Jede Kritik auf formaler Ebene macht die Verwertung potenziell effizienter. Das ist auch für das moderne Grafikdesign ein Dilemma.
Wenn Designer:innen ihre Handlungsmacht immer bloß auf Design beschränken, können sie eben nur politisch inkompetent im Kreis laufen. Man kann nicht den Ursprung des Symptoms revolutionieren, indem man das Symptom erneuert, das ist magisches Denken.
Was soll ich unterrichten? Diese Frage stelle ich mir jedes Semester neu und es scheint sich langsam etwas zu formen, das mir auch über die Verwertungslogik hinaus sinnvoll erscheint, potenziell in jeder Welt, die eine symbolische Ordnung besitzt. Es ist vielleicht der Versuch, das Dilemma der Grafikdesigner:innen im Speziellen und unserer Gegenwart im Allgemeinen ehrlich anzuerkennen, eine Mischung aus Pessimismus, Pragmatismus und Poetik. Ich versuche Analyse, Nachdenken, lustvolles Interpretieren, konzentrierte Übersetzung und nicht zuletzt technische Fähigkeiten, sowie Erfahrungen aus dem Berufsalltag zu vermitteln. In immer neuen Verknotungen.
Grafikdesign ist, noch bevor es zu Propaganda wird, Interpretation und Übersetzung, also per se in ein Geflecht aus Beziehungen eingebettet. Das ließe sich über jede menschliche Aktivität sagen, die Idee des autonomen Individuums ist immerhin längst gründlich widerlegt. Im Feld des Designs (und dem der Kunst) hält sich aber nach wie vor hartnäckig die Idee der genialischen Autor:innenfigur, über allem schwebend, »Creative Director«, auf mysteriöse Art einfach besser. Den Studierenden zu solchen Rollen zu verhelfen liegt mir fern. Es kann angesichts der Wüste der Berufsrealität im Kapitalismus nicht das Ziel des Unterrichts sein, individuelle auteurs zu formen. Es liegt mir, Wüste überall, ebenso fern, die Studierenden zu reibungslos funktionierenden Werkzeugen zu formen. Und: starke Identifikation mit dem Beruf – das muss ich mir selbst immer wieder vorhalten – macht blind für die größeren Zusammenhänge.
Schwierig schwierig also alles, weil ehrlich. Grafikdesign kann Spaß machen, handwerklich interessant und tricky sein, intellektuell sehr anregend, ästhetisch reichhaltig und sich sogar sinnvoll und irgendwie »ethisch« anfühlen. Letzteres nur dann, wenn man sowohl dem Irrglauben anhängt, Form sei bereits Inhalt, als auch das Feld der Produktion nicht genau besieht. Sinnfülle hat ja auch ganz zu erst mal mit Inhalten zu tun, auf zweiter Ebene mit der Qualität ihrer Form. Da lässt sich also schon viel falsch oder richtig machen, je nach Situation. Ästhetisch reichhaltig wird es, sobald es nicht mehr um signature style geht, sondern um eine der Ausgangssituation und ihren jeweiligen Ansprüchen gerecht werdende Interpretations- und Übersetzungsleistung. Das ist auch das intellektuell anregende daran. Handwerklich interessant und tricky wird es, wenn einerseits die Übersetzung in Form ernstgenommen und andererseits Faulheit mit Erfindungsreichtum und technischem Interesse verbunden wird. Und Spaß macht es, später in der Wüste, – »Guten Morgen, Verwertungsmaschine« – wenn man das alles dann doch wieder nicht zu ernst nimmt, versucht, nicht scheiße zueinander zu sein und es schafft, sich die »Creative Directors« und »Project Managers« und »Key Account Managers« und die ganzen anderen Apparatschiks halbwegs vom Hals zu halten. Die meisten landen während oder nach der Ausbildung dann ja doch in Agenturen. Diejenigen, die das seltene »Glück« haben, in der Kulturindustrie die Hofnarrerei geil aussehen zu lassen, ohne völlig im Prekariat zu verbrennen, sind meist die Role Models der akademisch ausgebildeten Designer:innen – hot author elite, naja.
Worauf bereite ich die Studierenden dann vor? Auf Einschränkungen und Schwierigkeiten, denen tätig begegnet werden kann, auf Übersetzungsarbeit trotz Verständnisproblemen, auf eine Welt aus trügerischen Bildern und Symbolen, die das Ergebnis kleiner, mühevoller Arbeit, auf anderen Machtebenen getroffener Entscheidungen und gewaltiger Distribution sind, auf die Möglichkeit, die eigene Arbeit selektiv ernst zu nehmen. Und darauf, dass es Handlungsmacht vor allem außerhalb der Mittel des eigenen Feldes gibt.
Denn emanzipatorisch und ermächtigend ist es innerhalb des eigenen Feldes zunächst mal, handwerkliche Fähigkeiten zu lernen, sich Vokabular anzueignen, um Dinge artikulieren und formal kritisieren zu können, sowie einen Überblick über historische Zusammenhänge zu erlangen. Übergriffe in Arbeitssituationen, Machtmissbrauch, Ausbeutung und Atomisierung entgegenzutreten, Kritik auf inhaltlicher, ja politischer Ebene formulieren zu lernen und solidarisch mit anderen zu handeln sind die nächsten emanzipatorischen Schritte und dürfen weder in der Designausbildung, noch in irgendeiner anderen beruflichen Ausbildung fehlen. Grafikdesign hat mit diesen Dingen nur in der Folge zu tun, nicht in der Ursache. Diese Trennung verschwimmt im Unterricht aber eh, weil es da Verschachtelungen gibt und im Ästhetischen natürlich immer auch Verweise auf das Politische zu finden sind und umgekehrt. Es geht im Unterricht also nicht gemächlich und vortragend von A nach B – jede:r ist irgendwo, zeitgleich passieren Dinge die praktisch gelöst und theoretisch eingeordnet oder problematisiert werden wollen, die Studierenden sind zugleich auf sich selbst, die Anderen und mich geworfen und es wird manchmal auf aufregende Art, manchmal auf ermattende Art nebulös, wohin die Bewältigung der Aufgabe führt. Sich in solche Momente der Ambivalenz, Unklarheit und des Problematischen begeben, darin navigieren, sowie geduldig und bedacht Entscheidungen treffen zu können, ist vielleicht die wichtigste Fähigkeit, die ich Studierenden in dieser Gegenwart vermitteln kann.