Was soll ich heute unterrichten?
14.11.2022
Ich bilde junge Menschen für einen Beruf aus, der die symbolische Ordnung der kapitalistischen Welt entscheidend prägt. Ich unterrichte Grafikdesign an einer kleinen berufsorientierten Schule für Gestaltung. Fast jedes Semester einen Kurs, seit 2014. Aus getrübter Freude eher, als aus üppigen Verdienstmöglichkeiten. Grafikdesign zu unterrichten fühlt sich oft völlig absurd an. Ich versuche den Studierenden Fähigkeiten zu vermitteln, die sicher mißbraucht werden. Jede Produktwerbung erscheint mir wie das Ergebnis einer Wahnvorstellung. Corporate Communication ist eine gefällige, elegante und zerstörerische Waffe, deren wesentlicher Mitverdienst es ist, dass Menschen sich primär als Konsument:innen verstehen und nicht als soziale, politische Subjekte. In dieser geschlossenen Denkweise kann man Probleme, die durch Überproduktion oder Überkonsumtion entstanden sind, nur mit weiterer Produktion oder Konsumtion lösen. Das ist dann auch schon alles, was im Kapitalismus unter dem Begriff der »Innovation« passiert. Die Maschine muss halt laufen und mit neuem, frischem Material gefüttert werden.
Auch im Grafikdesign dauert es nur ein paar Jahre, bis die kryptische, sich dem schnellen Zugriff verweigernde, vielleicht sogar politisch aufgeladene Avant-Garde zum bloßen Branding wird. Der Kapitalismus integriert meist relativ reibungslos alle und alles in die Verwertung. Wie kommen »kritische« Designer:innen dann immer wieder auf die Scheinlösung, eine neue Ästhetik vorzuschlagen? Jede Kritik auf formaler Ebene macht die Verwertung potenziell effizienter. Das ist gerade für das »kritische« Grafikdesign ein Dilemma.
Wenn Designer:innen ihre Handlungsmacht immer bloß auf Design beschränken, können sie eben nur politisch inkompetent im Kreis laufen. Man kann nicht den Ursprung des Symptoms revolutionieren, indem man das Symptom erneuert, das ist magisches Denken. Und trotzdem gebe ich Unterricht in Grafikdesign und nicht in Gewerkschaftsarbeit, Soziologie oder Kritischer Theorie.
Was soll ich unterrichten? Diese Frage stelle ich mir immer wieder neu und es scheint sich langsam etwas zu formen, das mir auch über die Verwertungslogik hinaus sinnvoll erscheint, potenziell in jeder Welt, die eine symbolische Ordnung besitzt. Es ist vielleicht auch der Versuch, das Dilemma der Grafikdesigner:innen im Speziellen und unserer Gegenwart im Allgemeinen ehrlich anzuerkennen: Eine Mischung aus Pessimismus, Pragmatismus und Poetik. Ich versuche jedenfalls Sehen, Analyse, lustvolles Interpretieren, konzentrierte Übersetzung und nicht zuletzt technische Fähigkeiten, sowie Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag zu vermitteln. In immer neuen Verknotungen.
Grafikdesign, besonders Werbung, ist in der Regel Propaganda, soll also mittels eines Affekts zum Kauf oder zu einer anderen Art des buying into führen. Noch bevor es zu Propaganda wird, ist es aber Interpretation und Übersetzung, also per se in ein Geflecht aus Beziehungen eingebettet. Das ließe sich über jede menschliche Aktivität sagen, we live in a society, immerhin. Im Feld des Designs (und dem der Kunst) hält sich aber nach wie vor hartnäckig die Idee der genialischen Autor:innenfigur, über allem schwebend, »Creative Director« oder jemand mit einer »interesting design practice«. Ich will den Studierenden nicht zu solchen Rollen verhelfen. Es kann angesichts der Wüste der Berufsrealität im Kapitalismus nicht das Ziel des Unterrichts sein, individuelle auteurs zu formen, das wäre fast Betrug. Es liegt mir, Wüste überall, ebenso fern, die Studierenden zu reibungslos funktionierenden, alles sauber durchstylenden Werkzeugen zu formen, das wäre fast niederträchtig. Und: zu starke Identifikation mit der Arbeit als Beruf – das muss ich mir selbst immer wieder vorhalten – macht blind für die größeren Zusammenhänge.
Schwierig schwierig also alles, weil ehrlich. Grafikdesign kann großen Spaß machen, handwerklich interessant und trickreich sein, intellektuell sehr anregend, ästhetisch reichhaltig und sich sogar sinnvoll und irgendwie ethisch korrekt anfühlen. Ja? Der Reihe nach, rückwärts …
Ethisch korrektes Grafikdesign ist toll, geht aber nur, wenn auch die Produktion und der Kontext ethisch korrekt sind. Das Grafikdesign für Nike, Zalando, Adidas oder X, Y oder Z steht ziemlich am Ende einer langen, ökonomischen Entscheidungskette und ein kapitalistischer Großkonzern wird kaum einen Funken besser durch repräsentativere Kampagnen oder Packaging aus Recyclingmaterial. Den Mehrwert generieren nach wie vor die anonymen Ausgebeuteten, die freuen sich vermutlich mehr über vernünftige Lebensgrundlagen, als darüber, dass die Werbung des Arbeitgebers jetzt immerhin mehr Identitäten verwertet oder bloß eine zeitgemäße Typografie hat. Naja, altes Lied.
Das mit der Sinnfülle hat ja auch ganz zu erst mal mit Inhalten zu tun, auf zweiter Ebene mit der Qualität ihrer Form. Da lässt sich also schon viel falsch oder richtig machen, je nach Situation.
Ästhetisch reichhaltig wird es, sobald es nicht mehr um signature style geht, sondern um eine der Ausgangssituation und ihren jeweiligen Ansprüchen gerecht werdende Interpretations- und Übersetzungsleistung. Das ist auch das intellektuell anregende daran.
Handwerklich interessant und trickreich wird es, wenn einerseits die Übersetzung in Form ernstgenommen und andererseits Faulheit mit Erfindungsreichtum und technischem Interesse verbunden wird.
Und Spaß macht es später in der Wüste – »Guten Morgen, Verwertungsmaschine« – wenn man das alles dann doch wieder nicht zu persönlich und ernst nimmt, versucht, nicht scheiße zueinander zu sein und es schafft, sich die »Creative Directors« und »Project Managers« und »Key Account Managers« und die ganzen anderen Apparatschiks halbwegs vom Hals zu halten. Die meisten landen während oder nach der Ausbildung dann ja doch in Agenturen. Diejenigen, die das seltene »Glück« haben, in der Kulturindustrie die Hofnarrerei geil aussehen zu lassen, ohne völlig im Prekariat zu verbrennen, sind meist die Role Models der akademisch ausgebildeten Designer:innen – hot author elite, naja.
Vielleicht dann doch lieber Arbeiter:in, da existiert zumindest potenziell eine gewisse ökonomisch-politische Hebelmacht in der Kolleg:innengemeinschaft. Das Grafikdesign selbst ist im Agenturjob meist vergleichsweise fürchterlich und dumm, ganz zu schweigen von seinen Zwecken und einer Arbeitskultur, die eine:n schnell verschleißt. Aber sowieso und nochmal; der ethische Unterschied zwischen slickem Corporate Publishing für Automobilkonzerne, pseudonachhaltigem Startup-Branding, Modegiganten-Kampagne und raffiniertem Kunstkatalog für das Privatmuseum eines Milliardärs ist ziemlich sicher zero. Ethisch unproblematischere Auftrag- und Arbeitgeber:innen sind eh nicht genug für alle da, die sich wertende Gedanken über ihre Arbeit machen.
Mimimi, anyway. Auf welche Zukunft bereite ich die angehenden Grafikdesigner:innen vor? Auf die Beherrschung eines sich wandelnden Handwerks und auf ein formal geschultes Sehen. Auf Einschränkungen und Schwierigkeiten, denen tätig begegnet werden kann. Auf Übersetzungsarbeit trotz Verständnisproblemen. Auf eine Welt aus trügerischen Bildern und Symbolen, die das Ergebnis kleinteiliger und mühevoller oder automatisierter Arbeit, auf anderen Machtebenen getroffener Entscheidungen und gewaltiger Distribution sind. Auf die Möglichkeit, die eigene Arbeit situativ ernst zu nehmen. Und darauf, dass es politische Handlungsmacht vor allem außerhalb der Mittel des eigenen Feldes gibt.
Denn emanzipatorisch und ermächtigend ist es innerhalb des eigenen Feldes zunächst mal, handwerkliche Fähigkeiten zu lernen, sich Vokabular anzueignen, um Dinge artikulieren und formal kritisieren zu können, sowie einen Überblick über historische Zusammenhänge zu erlangen. Übergriffe in Arbeitssituationen, Machtmissbrauch, Ausbeutung und Atomisierung entgegenzutreten, Kritik auf inhaltlicher, ja politischer Ebene formulieren zu lernen und solidarisch mit anderen zu handeln sind die nächsten emanzipatorischen Schritte und dürfen weder in der Designausbildung, noch in irgendeiner anderen beruflichen Ausbildung fehlen.
Grafikdesign hat mit diesen Dingen nur in der Folge zu tun, nicht in der Ursache. Diese Trennung verschwimmt im Unterricht aber eh, weil es da Verschachtelungen gibt und im Ästhetischen natürlich immer auch Verweise auf das Politische zu finden sind und umgekehrt. Es geht im Unterricht also nicht gemächlich und vortragend von A nach B – jede:r ist irgendwo, zeitgleich passieren Dinge die praktisch gelöst und theoretisch eingeordnet oder problematisiert werden wollen, die Studierenden sind zugleich auf sich selbst, die Anderen und mich geworfen und es wird manchmal auf aufregende Art, manchmal auf ermattende Art nebulös, wohin die Bewältigung der Aufgabe führt. Sich in solche Momente der Ambivalenz, Unklarheit und des Problematischen begeben, darin navigieren, sowie geduldig, bedacht und mit dem nötigen Handwerkszeug gerüstet Entscheidungen treffen zu können, ist vielleicht die wichtigste Fähigkeit, die ich Studierenden in dieser Gegenwart vermitteln kann.