Judging book covers
Man judgt die books ja doch by their covers. Beziehungsweise judge ich hier vor allem die Cover. Ein scheiß Buch ist ein scheiß Buch, da hilft Design nur ein Stückchen weit. Es soll hier aber weder um ehrfürchtiges Gereibe an bibliofetischistischen Vorzugsausgaben, noch um ironisches bad-is-good Gefeixe gehen, sondern um Form, Handwerk und manchmal auch um Kontext, Interpretation und Übersetzung.
Sam Thorne – SCHOOL; A recent history of self-organized art education
Sternberg Press
Design: John Morgan
Was für ein elegantes, geschicktes Cover. Das Foto der deklassierten Wanduhr auf dem Fenstersims, neben dem Farbbecher, ist fast lakonisch. Der dicke Rahmen der Uhr ist der erste schwarze Kreis von dreien, die anderen beiden, eng verschlungen, im Titel. Die Schrift auf dem Ziffernblatt ebenso geometrisch konstruiert wie die hier so apart gesetzte Futura. Dass die Umschlagfalz durch das S geht, egal, das eher dünne Umschlagmaterial verzeiht es. Der Rücken des handlichen aber dabei angenehm dicken Buches ist das Ergebnis glücklicher Fügung und formaler Stringenz: dank des Umfangs steht der Titelschriftzug nur unwesentlich kleiner da, der vierzeilige Untertitel mit je zwei Worten pro Zeile ergibt die volle Höhe des Titelschriftzugs, der Name des Autors, gleiche Schriftgröße wie Untertitel, passt auch quer gesetzt und steht auf Stirnhöhe des Coverschriftzugs, es bedingt sich alles. Dann das Foto der Person auf der Umschlagrückseite, die Ärmel – tolles Blau – ein wenig hochgekrempelt, aufmerksam und interessiert zuhörend, den Organizer aufgeschlagen. Das Schwarz sinkt ein wenig weg im Papier, das Licht ist klar und weich. Kein Klappentext, kein Barcode, keine ISBN, das unaufdringliche Verlagslogo. Es geht um etwas.
Leo Trotzkij – literatur und revolution
Design: Wolfgang Schmidt
Diese Ausgabe von Leo Trotzkis »Literatur und Revolution« habe ich in einem kleinen Antiquariat in der Lüneburger Altstadt gefunden. Das Cover ist so einfach und elegant, wie es kraftvoll ist. Der fotografische Effekt in der Titeltypografie hat eine Wärme und Flachheit, die selten erreicht wird. Der gesamte Innenteil ist – bis auf Wörter an Satzanfängen komplett in Kleinbuchstaben – aus 10 Punkt Futura Book von Hand ziemlich frei flatternd gesetzt. Die Fußnoten aus 6 oder 7 Punkt Futura Bold. Vielleicht war kein anderer Schnitt der Futura Bold in der Größe verfügbar (was ja im Bleisatz ein Problem völlig anderer Größenordnung bedeutet), aber die Fußnoten sind so irgendwie ein wenig klobig geraten. Das gesamte Buch ist natürlich keine Übung in feinziselierter typografischer Ausdifferenzierung, sondern ein Statement, fair enough. Die Rückseite des Umschlags mit dem aufgerasterten Portrait ist so ein geiler Kniff, da weiß ich immer garnicht, welche Seite das bessere Cover wäre, also ständig hin und her drehen und dann von vorne bis hinten lesen. Naja, versuchen wenigstens, ist ja nun nicht der tief- und hintergründige Sci-Fi-/Fantasy-Tobak von Lem oder LeGuin sondern eben Trotzki about Sovjetliteratur. Aber auch wie mich der Genosse so Großer-Bruder-Style anschaut – direkt vertrauenswürdig. Ein bißchen abgeguckt vielleicht, wer weiß, hat Michael Radford sich nämlich die Rückseite für das omnipräsente Portrait des »Großen Bruders« in seiner guten Verfilmung von Orwells »1984« mit John Hurt. Klar, Orwell Antikommunist, »1984« der reinste Red Scare, trotz korrekter Stalinismuskritik, aber John Hurt war auch und besonders in dieser Rolle fantastisch und der Film hat nicht nur tolle Bilder und einen, eigentlich zwei, sehr gelungene Soundtracks, sondern auch gut gespielte Nebenrollen und ein super Set Design. Naja, ab und zu mal dieses Buch rausholen und dem Genossen in die Funkelaugen blicken, paar Seiten lesen, wie er den Grundstein für die Trotzkistische Zeitungsveröffentlichungswut legt, den durchsichtigen Plastikumschlag (Fossil!) streicheln und wieder zurück ins Regal. Für 12€ ok.
Der verworfene Soundtrack den die Eurythmics für den Film gemacht haben ist große early Ambient-EDM und es lässt sich eine ziemlich gerade Linie ziehen zu den großartigen Boards of Canada und Autechre.
Siegfried Lenz – Fundbüro
Hoffmann und Campe Verlag
Design: ?
Ich wusste garnicht, dass beim Hoffman und Campe Verlag auch mal was erscheint (erschien, erschan), das kein grässliches Cover (not to speak of Inhalt) hat. Ach so: Danke, dass »Roman« nicht auch auf die volle Breite skaliert ist, das wäre einer zu viel. So ist geil.
Frederick Forsyth – Die Hunde des Krieges
Piper Verlag
Design: ?
Uff, so ein krudes 1970er/1980er Thriller-Cover mit so einer irgendwie gut passenden Kombination völlig unterschiedlicher, aber gleichsam rustikaler Schriften. Das unscharfe Foto von irgendwas im Hintergrund gibt eine angenehme Grundaktivität, der SunRice-Farbverlauf in der Marshmallowschrift des martialischen Titels verspricht einen Überraschungsangriff im Morgengrauen. Hannah Sophie Dunkelberg wollte genau diese Schrift für einen Ausstellungsflyer, ich Flyer gemacht, Ausstellung war dann doch nix, höhere Gewalt, aber die cute Hommage liegt noch rum. Und ohne auf Schummeln zusammengequetschtes K wie beim Forsyth.
Bildmaterial: ©Hannah Sophie Dunkelberg
C.W. Ceram – Götter, Gräber und Gelehrte
Rowohlt Verlag
Design: ?
Zwei Druckfarben, ein wirres Bild, drei Schriftgrößen, eine Schrift, ein paar Umlaute und Punkte und ein rigoroser Umgang mit begrenztem Platz. Manche Buchcover haben so eine ausbalancierte Mischung aus kontrollierter Strenge, lakonischem Dahinwerfen und dann wieder gewissenhafter Detailarbeit (drei mal mit extra Adjektiv, naja), dass man das Gefühl nicht loswird, alles würde in sich zusammenfallen, wenn auch nur ein Bestandteil sich ändern würde. Wie sehr bei dieser Lautheit alles einander die Waage hält und sich aufeinander bezieht, ist selten zu sehen.
Sehr nice auch, wie das Bild so platziert wurde, dass der Freiraum unterhalb der unteren schwarzen Linie genau den Rowohlt Schriftzug umrahmt.
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Heinz J. Heydorn – Ungleichheit für alle; Zur Neufassung des Bildungsbegriffs; Bildungstheoretische Schriften, Band 3
Syndikat Verlag
Design: Gunter Rambow
Ja okay, wieder Futura, wieder so intellektuelle Halbeleganz, Schwarz, Weiß, Rot, innen classico – nix falsch gemacht. Es ist aber auch ein besonders warmes, organisches, gebrochenes Schwarz, das da in dem holzigen Papier versunken ist. Es hat dieselbe Anziehungskraft wie das Schwarz der »Schwarzen Reihe« aus dem Volk und Welt Verlag, die etwa zur gleichen Zeit von Lothar Reher in der DDR gestaltet wurde. Dann der rote Farbschnitt an der Oberkante, Syndikat-Eigenheit, war den kritisch-geneigten Lesenden direktes Distinktionsmerkmal. Wer ein Syndikat-Buch las, war schon von weitem an der roten Markierung erkennbar. Funktioniert auch, wenn man das Buch vor sich auf einen Tisch legt. Vorbeischlendernde Eingeweihte sehen gleich, da sitzt eine kritische Person, der milieuspezifische secret handshake klappt fast immer und ist für Nichteingeweihte eben ein exzentrisches Detail. Exzentrisches Detail ist auch das Verlagslogo mit dem umgebauten y.
Schwarzes Kreuz auf weißem Mantel
Design: ?
Das ist so Spitz-auf-Knopf komponiert, dass es fast zerfällt. Die Schrift sieht aus, wie mit dem Schwert geschnitten, und besonders das ß ist geradezu militärisch. Buch nicht gelesen, keine Ahnung worum es geht, aber das Cover verspricht nicht unbedingt poetisches. Sieht aber ehrlich geil aus, so beherrscht und grazil. Das ist die Schwierigkeit bei der Betrachtung und Interpretation von Grafikdesign. Das kann alles erstmal sehr verlockend sein und Erwartungen und Fantasien produzieren, einen Nerv treffen und dann macht man das Ding auf und guckt rein, packt aus, benutzt oder liest – und da ist plötzlich dieser klaffende Spalt zwischen Signifikant und Signifikat und man liest ganz fürchterliche, reaktionäre Scheiße oder hat mal wieder Schrott gekauft. Kann man natürlich jetzt ganz verkürzt und Anarcho-like unterstellen, dass eine beherrschte und dabei grazile Ästhetik natürlich im Prinzip auch gleich schon der reinste Faschismus sei und – no wonder – es in diesem Buch vielleicht um irgendwas mit Militär und Aristokratie geht. Aber nix, gerade die bekannteren Figuren des Kommunismus des letzten Jahrhunderts waren stylemäßig meist slick und elegant unterwegs, waren ja auch keine Schlurfis, die ständig zu spät zu Plenum kamen weil sie nach dem Aufstehen erstmal klarkommen mussten. Either way, gutes Cover.
Theodor W. Adorno – Gesammelte Schriften 6: Negative Dialektik, Jargon der Eigentlichkeit
Suhrkamp Verlag
Design: ?
Futura Light, so typisch und artgerecht tight gesetzt hat für mich denselben kühlen, spießig-blumigen Ton wie Adorno beim sprechen. Die Reihe in Gänze ist im Regal bestimmt impressive und man kann sich als besonders spießige:r Gesellschaftskritiker:in profilieren. Lust auf Lesen so semi, aber nicht wegen der Typo, sondern weil Adorno halt schreibt wie Adorno und honestly auch ein bißchen weil der Theodor ein Cop Calling Ass war, der seinen eigenen Studis die Ziften auf den Hals gejagt hat, das kleine Schweinchen.
Jean-Paul Sartre – Die Wörter
Buchgemeinschafts-Ausgabe, Lizenzausgabe des Rowohlt Verlages, für die Reinhard Mohn OHG, Bertelsmann und den Europäischen Buch- und Phonoklub
Design: Karl Hartig
Gimmick-Typografie, aber auf die gute Art. Das verspricht Dichte und literarisches Gewicht. Ganz platt, aber bei dem Titel wäre alles andere als ein typografisches Cover vermutlich schwierig hinzubekommen. Trump Medieval ist auch eine sehr passende Schrift für so ein Unterfangen, literally cutting edge.
Bertelsmann/Mohn haben natürlich als Akteure die heutige, marktgetriebene Bücher- und Zeitschriftenmisere mit zu verantworten, da hilft gutes Grafikdesign leider garnicht. Bertelsmann ist der Feind, absolut, daher war ja etwa die Veröffentlichung der dOCUMENTA 14 Publikationen – die tropften nur so vor Revolutionsjargon – durch Prestel (Bertelsmann/Random House) so ein mieser Verrat. Revolution durch Kunst (haha, genau) hin oder her, wer sie trotzdem so verpfeift, ist ein zynisches Schweinchen, das die eigenen kritischen Gesten mutwillig unterläuft.
Naja, zurück. Bücher nach ihren Covern beurteilen: da wird es dann beim Sartre hier – in diesem ökonomischen Kontext – doch wieder spicy. Das nichtvorhandene Verlagslogo auf dem Cover ist eine Lücke, der ich einen Grund unterstellen möchte. Nämlich den, dass Logos von Bertelsmann/Buchklub/Mohn hier – abgesehen von ihrem Einfluss auf die Gestaltung – ein ungebetenes Geschmäckle einstreuen würden, angesichts des kritischen Niveaus, das hier anschlägt. Zumal es eben Sartre war, in seiner erbarmungslosen autobiografischen Selbstkritik und seiner ganzen schmerzlichen Enttäuschung, mit dem sich hier – wie zum Hohn – das verlegerische Großkapital marktliberal-egalitär schmückte. Wenn dann auf den dOCUMENTA Büchern mit diesen Inhalten so ein Markenname unverschämt prangt, ist ja irgendwie auch alles egal.
W.I. Lenin – Staat und Revolution
Herausgegeben im Auftrag des Zentralkomitee des Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD
Verlag Das Freie Buch GmbH
Design:
W.I. Lenin – Über den Parteiaufbau
Dietz Verlag Berlin
Design: ?
Wenn Lenin schrieb, wurde es ziemlich angespitzt, manche hätten gesagt, bedrohlich (Je nach dem wer, zu Recht?). Wenn dann wie hier die Gestaltung so ganz leise daherkommt, wird es extra spicy. Es gibt so Marx Bände mit wie in Stein gehauenen Angstmacher-Portraits und großer, böser Schrift, das riecht schon auf dem Cover entweder nach kultigem Kitsch oder Red Scare. Wenn dann so ein hochkonzentriertes, völlig ernstes Cover wie bei Lenins »Staat und Revolution« auftaucht, bekommt man einen leichten Schauer auf dem Rücken, bevor man liest. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mit den Buchstabenabständen was nicht ganz stimmt (aa). Schade, aber egal, die rote Linie, die Schriftwahl, die weiße Fläche auf diesem taubengrauen Grund, alles Cold Killer. Das braune Lenin Buch aus dem Schaufenster ist da im Vergleich sofort unterlegen. Das riecht quasi durchs Fenster nach Zigarillo und lederner Funktionärscouch, da hilft auch die Goldfolienprägung nix.
allaphbed: Walter Pamminger – Exzess des Buches
Reihenkonzeption: work ahead [so:ko]
Lenins taubengraues Büchlein erinnert mich direkt an die Schriftenreihe »allaphbed« des Instituts für Buchkunst der HGB Leipzig. Innen comme il faut, außen vraiment asketisch und so, als hätte sich Adolf Loos persönlich in Ornamentik versucht. Großes Tennis.