Alles ist politisch, alles ist Design, und niemand will den Kuchen
24.10.2022
»Alles ist politisch!« höre ich seit Jahren immer wieder von Kolleg:innen. Ich habe diesen Satz in meiner Agenturzeit auch selbst immer wieder in den Mund genommen. Eine unbegründete Meinung, die sich einem zugleich mit moralischem Druck und einer alles entspannenden Gleichgültigkeit aufdrängt. Es passiert sehr viel Beunruhigendes bis Grässliches, das politischen Charakter hat und noch viel mehr, das sich selbst den Schein politischen Charakters verleiht und zugleich ist es eine ungeheure Beruhigung für das eigene Gewissen, wenn »alles politisch ist«, weil ich so selbst den mitunter langweiligsten Banalitäten (z.B. Einkaufen, für wen ich Lohnarbeit verrichte, was ich anziehe) den Glanz der Tat verleihen kann. Ja gut, einkaufen, Lohnarbeit und das Tragen von Kleidung können mitunter Freuden sein und haben nicht zu ignorierende Dimensionen der Würde, Selbstbestimmtheit, Klassensymbolizität und Identität. Wenn aber alles politisch ist, ist nichts apolitisch. Manno, nicht mal in Ruhe scheißen kann man noch. Dabei wollte ich doch nur ein wenig Selbstwirksamkeit.
Walter Benjamin hätte vermutlich nicht geahnt, dass seine hellsichtige Beschreibung mancher Wirkmechanismen des Faschismus eine bestechende Sichtweise auf so manches repräsentationistisches Phänomen der heutigen Zeit ermöglichen. Gleich vorweg, das bedeutet ganz und garnicht, dass sich unsere technokapitalistische Konsumgesellschaft mal eben mit dem Faschismus gleichsetzen ließe, aber Benjamins Äußerungen aus dem Nachwort zu »Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit« treffen einen Punkt. »Der Faschismus versucht, die neu entstandenen proletarisierten Massen zu organisieren, ohne die Eigentumsverhältnisse, auf deren Beseitigung sie hindrängen, anzutasten. Er sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben. Der Faschismus läuft folgerecht auf eine Ästhetisierung des politischen Lebens hinaus.«¹ Ist die Politisierung der Ästhetik nicht die umgekehrte Entsprechung der Ästhetisierung der Politik? (Danke für alles, Wolfgang Fritz Haug und Michael Hirsch!)
Mit so vielen Begriffen wird in der »Kreativindustrie« eifrig und vorschnell umhergeschmissen, in der Hoffnung, »aufs Markenkonto einzuzahlen« (würg). Der Begriff des Politischen scheint hier aber besonders ungenau umrissen zu sein. Dabei bieten die Politikwissenschaften eine etwas feinere Gliederung der Politik in drei Betrachtungsebenen, nämlich politics, policy und polity. Politics sind politische Prozesse, also das konflikthafte Aushandeln des Allgemeinen. Policy sind die inhaltlichen Handlungen politischer Akteur:innen sowie die Resultate politischer Entscheidungen. Polity beschreibt den gesamten Handlungsrahmen, innerhalb dessen sich politics und policy abspielen können, also Verfassung, politische Kultur und bestehende Verhaltensmuster. Bewerten wir Politiker:innen jetzt also streng nach ihrem Handeln oder bewerten wir vor allem ihr Benehmen, ihren Charakter und ihre Performance? Die Unterschiede zwischen einem Donald Trump und einem Joe Biden sind auf der Ebene ihrer policies zum Teil verschwindend gering. Ebenso wie beispielsweise die zwischen Angela Merkel, Olaf Scholz, Christian Lindner und Armin Laschet. Wir beurteilen aber am liebsten den jeweiligen Stil, mit dem sie politics machen, innerhalb der Grenzen dessen, was wir für schicklich oder vertrauenserweckend halten, also der politeness. In der politisierten Ästhetik – zum Beispiel, hach, bei guten Brands – wird versucht, das unangenehme, genuin konflikthafte der Politik aufzuheben, indem das Ereignis der politischen Handlung und das Ereignis des Warenkaufs zum selben Ereignis verklärt werden. So bleibt nichts weiter zu tun, als zu kaufen und andere zum Kauf derselben Ware anzuregen, und schon ergibt sich ein »movement«, das froh seinem »purpose« entgegenshoppt.
Konsumverhalten ist noch nicht politisch – das Politische ist umgekehrt zu Konsumverhalten geworden. Von allen Möglichkeiten, politisch zu handeln, sind »wählen gehen« und »einkaufen gehen« die lowest hanging fruits, wenn nicht eh schon Fallobst. Und so beschweren wir uns nach der Wahl – sprich: nach dem Einkaufen – dass das, was in der Verpackung drin ist, nicht aussieht, wie die Bilder in der Werbung oder auf der Verpackung. Das ist auch kein Problem, das mit »Authentizität« lösbar wäre: »Authentizität« ist, abgesehen von der eh schon schlechten Brauchbarkeit des Konzeptes für irgendwas, längst zu einer Verpackung geworden, zum Gegenteil ihres eigenen Versprechens also. Außerdem wäre es ja so geil, wenn die geilen Bilder sich auch als die geile Realität entpuppten. Disappointment is the product of desire, honey.
Indem ich Repräsentant:innen meiner Interessen wähle – besonders wenn diese meine Interessen garnicht tatsächlich vertreten – gebe ich meine Verantwortung, politisch zu handeln, an andere ab. So weit, so nicht so gut. Trotzdem machen, solange es noch Repräsentant:innen gibt, die tatsächlich meine Interessen vertreten. Auch der vertane Hauch einer Chance wiegt mitunter schwer. Bleiben mir ja außerdem noch einkaufen und Kommentare auf Social Media Plattformen schreiben. Puh, ein Glück! Oder ist da noch mehr?
Zum Beispiel, wenn ich zur Miete wohne, mich bei einem örtlichen Mieter:innenschutzverein anmelde und mich gemeinsam mit meinen Nachbar:innen konsequent gegen Mieterhöhungen stemme, ohne mich von der scheinbaren Übermacht der Eigentümer:innen einschüchtern zu lassen, so ist das eine weitaus radikalere Tat, als wenn ich mir den uneleganten ideologischen Wackeltanz des taktischen Wählens antue. Wenn ich mich mit Arbeitskolleg:innen zusammentue, um geschlossen pünktlich Feierabend zu machen, faire Bezahlung und Diskriminierungsfreiheit am Arbeitsplatz einzufordern und so mit ökonomischem Druck »von unten« die vermeintlich flache Hierarchie in der Agentur kurzerhand so richtig flach mache, ist das viel effektiver gegen Ausbeutung und psychische Belastung, als wenn ich mir die Überstunden mit der vermeintlichen coolness der Projekte lohnunternehmerisch kleinrede oder mich schon morgens beim »Corporate Sport« für die Verwertung fickbar halte. Oder wenn ich mich gemeinsam mit anderen im Alltag sozial engagiere und über Differenzen hinausgehend die Gemeinschaft stärke – halt, nein, das ist nicht bloß das »Privileg« der Besserverdienenden, die sich soziales Engagement »leisten können« und daher auch müssen. Diese liberale Privilegienlogik erklärt unter der Hand sogleich die Privilegierten zu den rechtmäßig Tätigen, die ihren heldenhaften Dienst für die hilflosen, stummen und zur Untätigkeit verdammten Unterprivilegierten leisten. Das ist selbstgerecht. Kurzum, Politik ist ohne Antagonismen nicht zu haben. Es ist aber genau diese in Antagonismen enthaltene Negativität, die der mit allem kompatibel sein wollenden, optimistischen und alles geil machenden Logik der Warenästhetik zuwider läuft.
Jetzt gibt es natürlich Designer:innen, die, teils reflexiv, Ästhetiken propagieren, die diese vielen Spannungen und Widersprüche »sichtbar« machen, indem sie sie möglichst sperrig, aggressiv, spröde oder raumgreifend ins Visuelle übersetzen und so vermeintlich der Warenästhetik ein Schnippchen schlagen. Da hallt doch ein leises »Ätsch Bätsch!« durch den Kunsthochschulenflur. Kurz darauf hallt es dann durch die Flure des Branding Departments von Nike. Kein Style ist zu sperrig, um nicht als Backdrop für den Sneaker Release enden zu können. Selbiges gilt natürlich auch für alle anderen Styles. Das höchste Endziel einer jeden Marke ist es nunmal, ununterscheidbar von Subkultur zu werden. Konsument:innen sollen sich damit identifizieren können, und sie tun dies bereitwillig, ist ja nichts neues.
Die Unmöglichkeit, der Verwertungsmaschine auf dem Wege der kulturellen Produktion zu entkommen, hat schon Kurt Cobain in die Verzweiflung gestürzt. Subversion gegen das System ist schließlich der Bestseller von MTV gewesen. Gegen stilistische Innovation ist natürlich grundsätzlich gar nichts einzuwenden. Sie entsteht auch nicht bereits innerhalb der Verwertungslogik, sondern ist eine Erscheinung am Rand, die in Richtung Zentrum wandert. Nun wird es aber glitschig, sobald man einem Style politische Macht unterstellt. Dass durch einen Style auch Diskurse abgebildet und Dinge über die Gegenwart gesagt werden können steht dabei außer Frage. Marken und Produkte sind schließlich Teil der Konsumgesellschaft und ihrer Kultur und die Trennlinie zwischen Brands und Subkulturen ist schon seit den 1980ern immer schwerer auszumachen. Aller Unklarheiten zum Trotz ist eine politische Tat im antagonistischen Sinne, also ein Austragen eines Konfliktes, jedoch nicht möglich, ohne die integrative Verwertungslogik selbst in Frage zu stellen, ohne also die Warenform als solche zu negieren. Das erfordert ein Handeln, das über die Produktion von »Sprechakten« (für Designer:innen: z.B. Poster zu dringlichen Themen) weit hinausgeht. Der Griff der Ausgebeuteten nach politischer Macht lässt sich nicht vermarkten oder in eine coole Grafik verwandeln. Dann wäre Politik ja wirklich so leicht und einfach, wie sich die »Creative Class« (Danke für nichts, Richard Florida) das vorzustellen scheint.
Am zarten Anfang meiner eigenen Politisierung, als Grafikdesigner, der sich sehr mit seinem Beruf identifiziert hat und für den die gesellschaftliche Relevanz dieses Berufes nicht fett genug unterstrichen sein konnte, kam mir jede Kritik an Behauptungen des Politischen in Design, Marketing und Werbung wie Blasphemie vor. Ich war so überzeugt vom politischen Charakter und der Relevanz meiner Arbeit – nein, eigentlich war es mehr ein Wunsch – dass ich mich abwechselnd für die moralische Verwerflichkeit der »Brotjobs« geschämt und für die moralische Vortrefflichkeit der Projekte, von denen ich eigentlich mehr machen wollte, gefeiert habe. Dabei habe ich ein wichtiges Detail völlig übersehen, vielleicht auch verdrängt: die moralische »Beschaffenheit« der Projekte war nur das Zerrbild der eigentlichen Sachlage. Die überwältigende Mehrheit des entstehenden Designs ist notwendiger Teil des Kapitalismus und die Entscheidungen darüber, wie ein Konzern seine Marken handhabt, liegt nicht in der Hand von Designer:innen, ist also nicht unmittelbar deren moralisches Problem. Und ob der Konzern seine Waren als Marken positioniert und folglich mit Branding versehen lässt steht außerhalb des Business-to-Business-Geschäftes garnicht erst zur Disposition, das kann also noch weniger das moralische Problem von Designer:innen sein. Die Entscheidungen, die überhaupt den Spielraum der Arbeit der Designer:innen abstecken und deren grundsätzliche Ausrichtung festlegen – sozusagen die polity –, werden also an ganz anderer Stelle gemacht. Diese polity zu verändern, kann nur dann geschehen, wenn Designer:innen über das Designen hinausgehen und nach politischer Macht greifen, also politics machen, um policies zu produzieren. Damit überschreiten sie das eigene Feld – in dem sie nunmal sichere Expert:innen sind – und begehen die Anmaßung, die politisches Handeln darstellt. Raus aus dem partikularen designen, networken und upskillen und über sich selbst hinaus herein ins Universelle. Dann geht es auch nicht mehr um Geschmack, Design-Stile, Markenmoral oder Markensubkultur, sondern um Arbeit, Wert und womöglich gar um die Klassenverhältnisse selbst. Wenn wir schon dabei sind, warum nicht den ganzen Kuchen?
Das Geraune, man solle doch beim Designen bleiben und sich nicht anmaßen, in der Politik (oder sonst einem anderen Feld) mitzumischen, ist konfliktscheuer, technokratischer Unfug, der sich Handlungen nur innerhalb von und zwischen sauber eingehegten Feldern aus lauter Fachleuten und Profis vorstellen und obendrein ohne die Authorisierung der fachlichen Institutionen kein gescheites Wort hervorbringen kann. Vom sicher auftretenden Hochstaplersyndrom darf sich also niemand verrückt machen lassen, wenn es um mehr gehen soll, als Mikroergänzungen sich um sich selbst drehender Inseldiskurse in Fachkreisen. Die machen einen Heidenspaß, wenn man sie als das nerdige Spiel spielt, das sie sind. Sein Leben mit solchen Spielen zu verbringen, kann sehr erfüllend sein, ist aber noch keine politische Praxis. Das muss ein Spiel auch garnicht sein.² Man kann ja auch abwechselnd spielen und politische Arbeit machen. Wenn man zu sehr versucht, das Spiel zu politisieren und die Politik zu spielen, verliert man beides. Es ist also weder alles politisch, noch ist alles Design. In diesem Sinne: Eben in Ruhe zu Ende scheißen und dann ran an den Kuchen, ihr Lieben.
1 Benjamin schreibt, die Massen hätten ein »Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse«. Das ist natürlich nicht juristisch gemeint, sondern ein Moralurteil. Vielmehr gibt es eben Bewegungen, die – zu Recht – auf die Veränderung der Eigentumsverhältnisse hindrängen, also auf die Aufhebung der Klassengesellschaft. Das ist für die herrschenden Klassen verständlicherweise blöd. Deshalb sucht man nach Möglichkeiten, den Leuten das Gefühl zu geben, sie gehörten dazu, sie würden gesehen. Dabei wird die nach Ganzheitlichkeit strebende ökonomische Ausbeutung in einer vermutlich selbst für Marx schockierenden Effizienz aufrechterhalten, im Gegenzug für identitätspolitische Zugeständnisse und Repräsentation. Jetzt ist natürlich nicht jeder Kampf gegen Diskriminierung für die Katz und dazu verdammt in eine neoliberale Falle zu tappen. Auch ist die psychische Verfassung von Menschen nichts, über das man einfach hinwegsehen könnte. Aber eine Linke, die sich mit einer für Subalterne bloß behaglicheren Version der schlechten Verhältnisse zufrieden gibt, schafft nicht jene Verhältnisse, sondern sich selbst ab. Nicht um alles oder nichts, nicht um alles oder, na gut, dann wenigstens ein bißchen, um alles, einfach alles muss gehen. Teilerfolge sind gut und Anlass zur Freude, aber eben Teilerfolge.
2 Ja, Grafikdesign ist geil und macht Spaß, kann sogar intellektuell anregend sein und wir sind alle mit der Warenförmigkeit der meisten Dinge um uns herum sozialisiert. Ich finde es deshalb ja auch gut, mir ansprechende Dinge zu kaufen und staffiere damit immer wieder meine veränderliche Identität neu aus. Ich mag meinen Beruf und er ist – ich arbeite fleißig daran, dass er das weniger wird – wichtig für meine Selbstwahrnehmung. Ich kann mich darin ausdrücken, würde mich manchmal gerne nur noch mit Gestaltungsproblemen befassen und gefühlt bin ich als Selbstständiger in meiner Arbeit weniger entfremdet (mit zwei zugedrückten Augen natürlich). Deswegen sind die Verhältnisse insgesamt ja aber noch nicht hinnehmbarer.